Familie Nathan Strauß

Ringstraße 9 (heute Nr. 8, Neubau)

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Der Handelsmann Nathan Strauß (*1874), ein Bruder von Abraham Strauß in der Ringstraße, stammte aus Rothenkirchen. Er war verheiratet mit Adelheid geb. Braunschweiger (*1880) aus Burghaun. Das Ehepaar hatte einen Sohn:

Leo, geb. etwa 1915


Nathan Strauß, der Teilnehmer am ersten Weltkrieg war, lebte um 1926 mit seiner Familie in der Burgstraße im Haus des Samuel Stuckhardt. Im Jahr 1929 erwarb er das Anwesen Ringstraße 9 von der Witwe Jeanette Nußbaum , die nach Hünfeld verzogen war.

Im Verlauf des Novemberpogroms 1938 wurde Nathan Strauß nach Buchenwald verschleppt, von wo er erst mehrere Wochen später wieder nach Hause zurückkehrte.

Im September 1941 verhaftete ihn die Ortspolizeibehörde erneut, weil er mit Julius Braunschweiger im Wald Heidelbeeren gepflückt hatte und damit eine Polizeiverordnung (Verbot des Verlassens der Wohngemeinde) übertreten hatte. Zusammen mit Julius wurde er am 19. September 41 in das NS-Arbeitslager "Landesarbeitsanstalt und Landesfürsorgeheim Breitenau" bei Kassel eingeliefert.

Eine Anordnung der GESTAPO vom 6. Oktober auf ärztliche Untersuchung der "Haft- und Lagerfähigkeit" der beiden Männer lässt aufhorchen! Sie galten ja jetzt als Kriminelle und waren damit prädestiniert für das KZ Dachau, wo schon seit Monaten grausame Menschenversuche an Häftlingen stattfanden.


Während Julius Anfang Dezember nach Burghaun entlassen wurde, brachte man Nathan Strauß am 2. Dezember 1941 in das KZ Dachau. Offenbar hatte die genannte Untersuchung in der Anstalt Breitenau ergeben, dass er tauglich für eine "Verlegung" nach Dachau war!

Das könnte bedeutet haben, dass man Nathan zu solchen Versuchen (medizinische Experimente, Kälteversuche, Experimente in der Druckkammer usw.) missbraucht hat. Jedenfalls starb er dort  am 11. März 1942 - Gott weiß unter welchen Umständen - nach offizieller NS-Lesart an "Darmkatarrh". Höchstwahrscheinlich eine der gebräuchlichen Lügen wie Herzversagen, Lungenentzündung und eben Darmkatarrh. Die folgenden Dokumente legen diesen Verdacht durchaus nahe:  

Arolsen Archives, Dokumente

Seine Frau Adelheid bekam bald darauf durch die Post gegen Bezahlung ein Paket zugestellt, worin sich eine Urne mit der Asche ihres Mannes befand.  Zu diesem Zeitpunkt wohnte die Witwe Adelheid Strauß bei ihren Geschwistern Anschel und Gusta Braunschweiger in der Dimbachstraße 13. Das Haus in der Ringstraße, welches kurz nach Nathans Rückkehr aus dem KZ Buchenwald notariell verkauft worden war, hatte Adelheid inzwischen verlassen müssen.

Nathan Strauß ist laut Bürgermeister Kreiß in Burghaun beerdigt worden. Damit wäre er der letzte jüdische Burghauner gewesen, der auf dem Zentralfriedhof für die Juden des Hünfelder Landes bestattet wurde. Allerdings dürfte er kein würdiges Begräbnis mehr bekommen haben, denn abgesehen davon, dass nach jüdischen Vorschriften eine Urnenbestattung nicht vorgesehen war, hatten es die Nazis den Juden längst verboten, ihre Toten zum “Guten Ort” zu begleiten. Es lebten ja auch nur noch einige wenige Glaubensgenossen im Dorf. Vermutlich wurde die Urne mit den sterblichen Überresten von Nathan Strauß irgendwo auf dem Friedhof verscharrt, ein Grab ist dort jedenfalls nicht zu finden. Niemand kennt seine Ruhestätte. 

Adelheid Strauß hatte in dieser letzten Zeit in Burghaun außer der Verschleppung und dem Tod ihres Mannes noch weitere schwere Schicksalsschläge erleiden müssen. Am 20. Oktober 1941 war ihr Bruder Anschel gestorben und bald darauf wurden ihre Schwester Gusta sowie Schwägerin Fanny nach Riga deportiert. Sie selbst blieb mit Jeanette Wohl, die etwa seit 1940 auch in der Dimbachstraße 13 wohnte, im Haus zurück, bis auch sie schließlich Ende Mai 1942 Burghaun verlassen mussten.

Eine alte Burghaunerin ("Fricke Marie") erinnerte sich, dass sie in der fraglichen Zeit einmal zwei Judenfrauen, bei denen es sich um Adleheid Strauß und Jeanette Wohl gehandelt haben könnte, mit ihrem Bündel unterm Arm zum Bahnhof hat gehen sehen. Sehr wahrscheinlich wurden beide in Burghaun dem Transport von Juden zugewiesen, der am 31. Mai 1942 aus dem Fuldaer Bahnhof nach Kassel rollte.

Mittlerweile ist erwiesen, dass Adelheid Strauß und Jeanette Wohl am 1. Juni 1942 (zu Pfingsten) von Kassel aus nach Polen in den Raum Lublin verschleppt wurden - und zwar höchstwahrscheinlich in das Vernichtungslager  Sobibor. Dort hat man sie grausam ermordet. Die Burghauner Ortspolizeibehörde trug auf höhere Anweisung zur Verschleierung „unbekannt verzogen“ in die Akten ein.

 

Sohn Leo Strauß emigrierte im April 1937 nach New York, dort lernte er auch seine spätere Frau kennen. Mit der amerikanischen Armee kam er 1945 nach Deutschland und besuchte dreimal auch Burghaun, um etwas über das Schicksal seiner Eltern zu erfahren, von denen er keinerlei Lebenszeichen erhalten hatte.

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