Moses Potgorowicz

Schloßstraße 12

(heute Nr. 10)

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Moses Potgorowicz (* 1890), der aus Ostrow in Polen stammte, hatte sich schon als junger Mann in Burghaun niedergelassen. Er zog als Warenhändler über die Dörfer und kaufte und verkaufte hauptsächlich Felle; außerdem betrieb er einen kleinen Warenhandel mit allerlei Gebrauchsartikeln. Er wohnte die längste Zeit bis in die dreißiger Jahre in der Ringstraße. „Bei Nathan Strauß oben drin, da hat er ein Zimmer gehabt”. So erinnerte sich Inge Heiser geb. Nußbaum.


Moische, wie er auch genannt wurde, war unverheiratet und wurde täglich reihum von den jüdischen Familien mit Mittagessen versorgt. Frau Heiser: “Ja, jeden Samstag hat er bei uns gegessen, oben am Tisch hat er gesessen. Der hat schon bei meinen Großeltern gegessen. Als meine Mutter geheiratet hat, hat sie gesagt, sie übernimmt das auch. Der war wie ein Großvater zu uns Kindern. Er hat so Kleinigkeiten verkauft wie Schuhriemen und wer weiß was alles.”

In den letzten Jahren wohnte er bei dem Viehhändler Mendel Braunschweiger und seiner Frau Erna hier in der Schlossstraße im heutigen Haus der Familie Treber. Im Verlauf der „Kristallnacht“ von 1938 wurde Moses Potgorowicz festgenommen und zusammen mit den anderen jüdischen Männern ins Konzentrationslager Buchenwald abtransportiert. Dort musste er mehrere Wochen unter schändlichen Bedingungen zubringen, ehe er etwa im Januar 1939 wieder nach Burghaun entlassen wurde. Am 10. November 1939 wurde er in der Liste des Landratsamtes Hünfeld noch als im Haus Braunschweiger in der Schloßstraße 12 wohnhaft geführt. Dann verliert sich seine Spur! ...bis Oktober 2021!

 

Obwohl Moses Potgorowicz schon viele Jahre in Burghaun ansässig war, hatte er nicht die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Aufgrund seiner Staatenlosigkeit stand er seit Kriegsbeginn unter besonderer Beobachtung durch die Gestapo und wurde vermutlich schon vor Dezember 1941 in den Osten verschleppt, von wo er nie wieder zurückkehrte. Nach Angabe von Josef Strauss aus Hünfeld hat er den Holocaust nicht überlebt, Ort und Umstände seines Todes blieben aber bisher unbekannt. Im Gedenkbuch für die Opfer der Judenverfolgung ist er als im Osten verschollen aufgelistet.

 

Im Oktober 2021 ...

fand ich bei der Suche im "Online-Archiv der Arolsen Archives" heraus, dass Moses Potgorowicz (Podgorowicz) offenbar irgendwann nach dem 10.11.1939 von Burghaun nach Österreich emigrierte oder floh.


 

Laut "Arolsen Archives"  (Akten-Signatur 12114011) wurde er am 23. November 1941 mit dem 11. Transport aus Wien nach Riga deportiert.

Dieser Transport vom Wiener Aspangbahn-hof führte aber nicht - wie ursprünglich geplant - nach Riga, sondern ins litauische Kaunas (Kowno). Er "umfasste 1.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder. Alle wurden sie nach ihrer Ankunft erschossen, es sind keine Überlebenden bekannt." (1)

 

Ausschnitt aus der Transportliste Nr. 11
Ausschnitt aus der Transportliste Nr. 11

Kowno (Kaunas/Kauen)

Am 23. November 1941 verließ ein Deportationstransport mit 1.000 jüdischen Männern, Frauen und Kindern den Wiener Aspangbahnhof. Dieser Transport kam jedoch nie am ursprünglich geplanten Bestimmungsort Riga an.
Der Transport aus Wien wurde, wie auch einige für Riga geplante Deportationstransporte aus dem "Altreich", aus bisher nicht geklärten Gründen in das litauische Kaunas umgeleitet und dem Einsatzkommando (EK) 3 übergeben. Diese Einheit der Einsatzgruppe A war unter massiver Beteiligung einheimischer Kräfte seit Juni 1941 daran gegangen, "Litauen judenfrei zu machen", und hatte dabei insgesamt mehr als 130.000 Menschen ermordet. Sofort nach der Ankunft wurden die deportierten Wiener Juden im Fort IX, einem Teil der alten zaristischen Befestigungsanlagen von Kaunas, die mittlerweile zu Orten regelmäßiger Massaker geworden waren, von litauischen "Hilfswilligen" unter dem Kommando von Angehörigen des EK 3 erschossen.

Von den Wiener Deportierten sind keine Überlebenden bekannt. (2)

Zusammen mit den übrigen Akten aus dem Online-Archiv Arolsen ergibt sich trotz teils leicht abweichender Daten eindeutig, dass es sich hier um Moses Potgorowicz aus Burghaun handelt. Es ist aufgrund der Quelleninformationen davon auszugehen, dass er der Mordaktion vom  29. November 1941 in Kowno im Fort IX zum Opfer gefallen ist.

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