Psychiatrie vor 1933

Seit der Antike sind Therapie und Pflege psychisch kranker Menschen belegt. Unter dem Einfluss der arabischen Medizin waren psychiatrische Krankenhäuser entstanden, in denen Patienten mit Arzneien, Bädern und Musik behandelt wurden. Die sog. "Irrenärzte" waren der Ansicht, dass ein Aufenthalt in einer Heilanstalt die besten Heilungschancen bot. Allerdings konnten nur wenige Kranke diese Sanatorien aufsuchen, die große Mehrheit der Patienten wurde nach wie vor zu Hause versorgt und verwahrt. 

Im Zuge der naturwissenschaftlichen Neuausrichtung der gesamten Medizin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts trat eine entscheidende Wende ein. Es kam im Bereich der Psychiatrie nicht nur zu einer Vervielfachung der Heilanstalten sondern auch zu einem anderen Therapieansatz. Neben Krankheitsbild und Krankheitsverlauf spielten von nun an die aus der Familiengeschichte abgeleiteten Erbkrankheiten eine überragende Rolle. Insbesondere die Schizophrenie erschien als unheilbar.

Einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Gesellschaft übte die Evolutionstheorie von Charles Darwin aus, gewissermaßen beförderte der "Sozialdarwinismus" die Vorstellung vom Untergang des ganzen Volkes durch die Pflege "Erbkranker". Diese irrwitzige Schreckensvision schien sich im Ersten Weltkrieg zu bestätigen: Man registrierte den Tod gesunder junger Männer auf dem Feld - das Überleben Kranker in Heilanstalten. Eine neue unmenschliche Ethik war dabei, sich zu etablieren.

Im Jahr 1920 veröffentlichten Karl Binding und Alfred Hoche ihre Schrift "Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens". Die Autoren forderten staatliche Eingriffe zugunsten der "Volksgesundheit" (Eugenik, Rassenhygiene), womit sie eine öffentliche Debatte über das Schicksal kranker Menschen auslösten. Schließlich wurden - nicht nur in Deutschland - Gesetze zur Zwangssterilisation von "Erbkranken" vorbereitet, doch verhinderte in der Weimarer Republik humanes Denken einen entsprechenden Beschluss. Erst die Nationalsozialisten griffen die Gesetzesinitiativen wieder auf und setzten die Vorstellungen vom "unwerten" Leben in ein grausames Mordprogramm um - die "Euthanasie".