Mörderische Routine in Hadamar
„ Jeden Wochentag fuhren von Januar bis August 1941 die Fahrzeuge der Gekrat (Gemeinnützige Krankentransport GmbH) von Hadamar in die Zwischenanstalten und zurück: zuerst die Transportleiter mit der Namensliste der Abzuholenden und dann die grauen Busse, Reichspost- oder Reichsbahnbusse, mit dem Begleitpersonal. In Hadamar herrschte, wie in allen T4-Anstalten, die gleiche mörderische Routine: Nachdem die Busse im Hinterhof in eine speziell dafür gebaute Garage gefahren waren, stiegen die Kranken aus und kamen über einen Schleusengang in das Erdgeschoß des rechten Flügels.
Dort wurden sie in einem großen Saal vom Begleitpersonal ausgezogen. Dann hängte man den Opfern alte Militärmäntel über und führte sie einzeln über einen Flur in das gegenüberliegende Arztzimmer. Das Arztzimmer war durch einen Vorhang getrennt: Auf der einen Seite saß ein Bürobeamter, der die Identität der Opfer feststellte, auf der anderen Seite der Arzt, der die nackten Menschen noch kurz begutachtete und sich anhand einer Liste für eine der 61 falschen Todesursachen für den Totenschein entschied. Nach dieser „Untersuchung“ wurden die Patientinnen und Patienten nacheinander in einen Fotoraum geführt, wo von jeder Person drei Aufnahmen angefertigt wurden: eine Gesamtaufnahme, eine Brustbild- und eine Profilaufnahme. Außerdem wurden sie gewogen. In einem gegenüberliegenden Raum mussten die Männer und Frauen noch warten, bis sie in den Keller geführt wurden. Manche unruhige Kranke erhielten eine Beruhigungsspritze. Das Begleitpersonal brachte die Kranken bis zur obersten Treppenstufe, dann fand ein Wechsel statt.
Zwei Pflegerinnen führten die Kranken die Treppe hinunter in den Keller, in die etwa 14 qm große Gaskammer. Anfangs sollen in der Gaskammer noch Bänke gestanden haben, doch als die Größe der Transporte zunahm, wurden sie entfernt. Nachdem die Menschengruppe, wahrscheinlich im Höchstfall 60 Personen, in die als Duschraum getarnte Gaskammer gezwängt worden war, schlossen die Pfleger die gasdichten Türen. Der Arzt, der eben noch die „Untersuchung“ durchgeführt hatte, betätigte den Gashahn in einem kleinen Nebenraum, und ließ das tödliche Kohlenmonoxydgas in die durch den Raum laufende Rohrleitung der Gaskammer strömen. Das Gas trat durch die Löcher aus und führte zu einem Erstickungstod bei den Opfern. Die Ursache für die Kohlenmonoxydvergiftung war Sauerstoffmangel. Die Inhalation des Gases führte zu Hör-und Sehstörungen, Schwindelgefühl,..., Muskelschwäche, Erregung und Blutdruckanstieg. Der Tötungsarzt beobachtete das Sterben der Menschen durch ein kleines Fenster in der Wand und stellte die Gaszufuhr ab, wenn seiner Meinung nach alle Kranken tot waren. Im allgemeinen dämmerten die Kranken vor sich hin. Manche, die die Situation erkannten, schrien, tobten und hämmerten in Todesangst gegen Wände und Türen.
Nach etwa einer Stunde wurde durch die Ventilationsanlage das Gas ins Freie geleitet. Anschließend begannen die Brenner, die „Desinfektoren“ genannt wurden, mit ihrer Arbeit. Sie mussten die ineinander verkrampften Leichen aus der Gaskammer tragen und die vorher gekennzeichneten Toten zur Gehirnentnahme in den angrenzenden Sektionsraum schaffen. Dort wurden auf zwei Seziertischen den Opfern die Gehirne entnommen und zu „wissenschaftlichen Forschungszwecken“ wahrscheinlich an die Universitäts-Nervenklinik in Frankfurt und die Universitätsklinik Würzburg verschickt. Die anderen Toten wurden von den Brennern mit einer Lore in den Raum, wo die Krematorien standen, transportiert. Dort wurden ihnen auch die Goldzähne herausgebrochen. Anschließend verbrannten die Brenner die Leichen der Opfer in den Krematorien“.
Quelle:
Verlegt nach Hadamar; die Geschichte einer NS-„Euthanasie“-Anstalt. Hrsg. vom Landeswohlfahrtsverband Hessen 1991, S. 89 (Der Text wurde von Hubert Ziegler übermittelt.)