Max und Selma Victor

Bahnhofstraße 20 (heute Nr. 11)

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Max Victor war ein Sohn des Handelsmannes Bernhard Victor und seiner Ehefrau Jette geb. Levi. Als zweitjüngstes Kind von sechs Geschwistern wurde er am 27. Dezember 1884 in Burghaun geboren. Die älteste Schwester wurde nur wenige Tage alt, der jüngste Bruder Salli starb 1910. Seine Brüder Samuel und Liebmann (Louis) hatten 1906 in Kempten im Allgäu in der dortigen Lindauer Straße eine Käsegroßhandlung gegründet.


Nachdem  Samuel 1916 unerwartet verstorben war (begraben in Burghaun), holte Louis seine Schwester Gitta Kleeblatt mit ihren beiden Töchtern Bella und Martha nach Kempten in sein Geschäft.

Nach Aussage von Hans Gies müssen sich Martha und Bella zeitweise auch zur Betreuung ihrer Großmutter Jette Victor in Burghaun aufgehalten haben - besonders Martha.

Während Gitta 1940 in Kempten starb, wurden die Töchter mit ihrem Onkel Louis 1942 deportiert und ermordet. "Gebrüder Victor OHG"

Von Gittas Mann, Albert Kleeblatt, ist nichts bekannt.

 

Max blieb in Burghaun ansässig und führte im Haus seiner Eltern in der Rinstraße 20 (heute Nr. 22) das Geschäft mit Schlachtereizubehör seines 1913 verstorbenen Vaters Bernhard Victor weiter. Er baute es zu einem erfolgreichen und weit über die Grenzen von Burghaun bekannten Unternehmen aus. Max  belieferte die Bauern und Metzgereien im Umkreis mit den entsprechenden Maschinen und Gerätschaften zur Tierschlachtung und -Verwertung sowie mit Därmen zur Wurstherstellung.


Josef D. aus Künzell, der seinerzeit bei Metzgermeister Wagner in Fulda lernte, konnte sich (ca. 2002) noch gut daran erinnern, dass Max Victor auch seinen Meister beliefert habe. Er selbst besitze und benutze bis heute noch eine Wurstmaschine, die er damals bei Herrn Victor gekauft hatte.

Max muss ein tüchtiger und sehr geachteter Geschäftsmann gewesen sein, überall bekannt für gute Ware und reelle Geschäfte. In den Augen der kleinen Leute war er “grundreich”. Jüdische und christliche Zeitzeugen erinnern sich an die Fässer mit den verschiedensten Därmen, die in seinen Geschäftsräumen in der Ringstraße standen und auch an den entsprechenden Geruch. Er sei viel unterwegs gewesen, um Ware einzukaufen, währenddessen habe zu ihren Lebzeiten seine alte Mutter (gest. 1933) das Geschäft betreut. Auch habe Martha Kleeblatt, eine Tochter seiner Schwester Gietha, jahrelang zur Unterstützung im Haus gelebt und wohl auch im Geschäft mitgearbeitet.

Zeitzeuge Franz Koch, der etwa bis 1923 als Schuljunge zeitweise bei Victors arbeitete, erinnerte sich: “Der Max war ein tüchtiger Kerl. Wenn der Schabbes rum war, ist der in mords Kleidern nach Hamburg gefahren und hat eingekauft. Jeden Tag kam dann an der Bahn Zeug an. Das musste ich holen, wenns nicht der Justus, mein Nachbar, geholt hat. War es mehr, haben nämlich auch mal andere angepackt. Als das dann mit dem dritten Reich losging, da hat der Max zu mir gesagt: ‘Franz, wenn ich mal fort muss, kriegst du mein Zeug, ich schenk dirs.’ Der Max hätte fortgehen können nach Amerika, aber er hat gedacht, die Nazis bleiben nicht lang.”

Etwa 1930 heiratete Max Victor Selma Grünebaum (*6. Juni 1903) aus Salmünster. Das Ehepaar zog dann zu Bauer Krach in die Bahnhofstraße 20 (heute Nr. 11) und wohnte dort ab Januar 1931 im ersten Stock. Das Lager der Darmhandlung blieb im Elternhaus in der Ringstraße. Die Zeitzeugin Christiane Doll erinnerte sich: „Das war einer, der Max, wie ein Schauspieler. Und später - er war schon weit übers Heiratsalter - hat er eine wunderschöne Frau geheiratet, und die muss wohl ziemlich reich gewesen sein. Die wollten sich hier groß niederlassen, also baulich und geschäftlich.“ Dazu passt, dass Max Victor 1933 das Nachbarhaus vom Haus Ringstraße 20 erwarb, was er nicht selbst nutzte sondern zunächst vermietete. Aufgrund der politischen Verhältnisse kam es aber nicht zu der geplanten größeren Niederlassung.

Max und Selma Victor müssen Burghaun Ende Oktober/Anfang November 1938, jedenfalls noch vor der sog. "Kristallnacht", verlassen haben. Der unmittelbare Anlass wird sicherlich das Gerichtsverfahren gewesen sein, das man ihnen angehängt hatte, wegen der Beschäftigung einer "arischen" Putzfrau! Max Victor musste eine Strafe in Höhe von 1500 Reichsmark zahlen, weil er gegen das NS-Gesetz "zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" verstoßen hatte !

In Frankfurt wohnten Max und Selma Victor im Westend in der Liebigstraße Nr. 23 - bis am 19. Oktober 1941 morgens zwischen 6 und 7 Uhr ein Kommando bewaffneter SA-Männer urplötzlich in die Wohnung eindrang.

Die Nazis forderten das Ehepaar auf, folgender Verfügung umgehend und ohne Widerstand Folge zu leisten:

"Es wird Ihnen hiermit eröffnet, dass Sie innerhalb von 2 Stunden Ihre Wohnung zu verlassen haben. Die beauftragten Beamten sind gehalten, bis Sie Ihre Koffer gepackt und die Wohnung hergerichtet haben, bei Ihnen zu bleiben und Sie alsdann zum Sammelplatz zu bringen … Außerdem haben Sie sich selbst ein Schild um den Hals zu hängen, auf dem Ihr Name und Geburtstag angegeben sind sowie Ihre Kennnummer." (aus: "Nach der Kristallnacht", S. 358).

Nach entwürdigenden Abfertigungen am Sammelpunkt Großmarkthalle wurden Max und Selma Victor am nächsten Morgen mit diesem ersten großen Transport von ca. 1150 Menschen von Frankfurt nach Litzmannstadt/Lodz im besetzten Polen gebracht.

Dort kam der Zug am 22. Oktober an der unmittelbar am Ghetto gelegenen Bahnstation an. Es gab drei Überlebende dieses Transportes - Selma und Max Victor waren nicht unter ihnen!

Man findet ihre Namen in der inzwischen im Internet veröffentlichten Transportliste.

 

 

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